Unterstützung der Proteste gegen das neue PAG in Baden-Württemberg

Auf Einladung des Commando Cannstatt 1997 durfte der Weiß-Grüne Hilfefonds am 12.10.19 auf der Demonstration gegen das neue Polizeiaufgabengesetz in Baden-Württemberg einen Redebeitrag beisteuern. Vor rund 1000 Aktivisten konnten wir unsere aktuelle Situation in Bayern sowie die Anwendung des bayrischen PAG im Kontext von Fußballspielen beleuchten. Im Folgenden dokumentieren wir unseren Redebeitrag. Weitere Links zu diesem Thema findet ihr ebenfalls im Anhang. NoPolGBW!

Servus Fußballfans, Ultras und Aktivisten,

vorab möchten wir uns erstmal dafür bedanken, dass wir als Weiß-Grüner Hilfefonds, die Fanhilfe der Spielvereinigung Fürth, einen Beitrag zu diesem sehr wichtigen Thema leisten dürfen. Einem Thema, welches uns sowohl als Fußballfans sowie auch grundlegend als mündige Bürger betrifft.

In den vergangenen Jahren wurde in der öffentlichen Berichterstattung und durch Äußerungen von Politikern teilweise der Eindruck vermittelt, der Stadionbesuch sei mit Gefahren für Leib und Leben verbunden. Es wurde des Öfteren eine neue Dimension von Gewaltkriminalität heraufbeschworen. In regelmäßigen Abständen werden noch härtere Strafen für „die sogenannten Fans gefordert.

 

Neben Baden-Württemberg ist Bayern gleichermaßen dafür bekannt, mit einer der restriktivsten Gesetzesauslegungen zu besitzen. Dies betrifft nicht nur die allgemein repressive Verfahrensweise der bayrischen Justiz, sondern es beginnt weitaus früher. Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung und einer Meinungsmache von Richtern und Staatsanwälten, die zunehmend Angriffe auf die Demokratie heraufbeschwört, führte Bayern seit kurzem etliche neue Spielzeuge für Polizei und Sicherheitsbehörden ein. Bayern ist es, welches seit Jahren kein Interesse an transparenter Polizeiarbeit hat, indem bspw. eine dringend nötige Kennzeichnungspflicht für Polizisten immer wieder von der bayrischen Landesregierung abgeschmettert wird. Bayern ist es, welches einen über die Landesgrenzen hinaus bekannten Schlägertrupp namens „bayrisches Unterstützungskommando“, kurz USK besitzt. Eine Sondereinheit, die für aggressives, schikanöses, provokatives und gewalttätiges Verhalten steht, nicht nur im Kontext Fußball. Viele traurige Beispiele könnten an dieser Stelle zusätzlich aufgezählt werden. So verwundert es nicht, dass gerade unser Bundesland eine Änderung des Polizeiaufgabengesetzes anstrebte und nun auch durchgeboxt hat. Es ist nur logisch, dass Bayern hier Vorreiter ist. So stand und steht das Thema Sicherheit in Bayern immer eng verbunden mit Überwachung und Repression. Immer über den Grundrechten der eigenen Bürger, koste es was es wolle.
Wir als Fanhilfe sehen das neue PAG in Bayern unvereinbar mit den Grundsätzen eines sog. Rechtsstaates. Die Unverletzlichkeit der Wohnung durch den Einsatz von Bodycams wird eingeschränkt, die automatische digitale Gesichtserkennung auf öffentlichen Plätzen zugelassen, Telefone und Computer dürfen auch ohne konkreten Verdacht überwacht werden. Und: Gegen sog. Gefährder kann ein Richter ohne Anklage für bis zu drei Monate Polizeigewahrsam anordnen und diesen dann immer wieder verlängern, ohne Straftat, ohne Prozess. Wer Gefährder ist, entscheidet die Polizei. Das ist Vorbeugehaft.
All diese Befugnisse folgen einem Prinzip: Die Polizei wird nicht aufgrund handfester Anhaltspunkte tätig, sondern auf bloßen Verdacht hin. Vermutungen treten an die Stelle von Fakten.
Die wohl bekannteste und zugleich nicht weniger zu kritisierende Änderung ist der Begriff der „drohenden Gefahr“. Dies erlaubt es der bayerischen Polizei tief in die Grundrechte der Bürger einzugreifen, und zwar lange bevor eine konkrete Gefahr besteht. Ein erster Schritt in diese Richtung war das bereits im vergangenen Sommer vom bayerischen Parlament beschlossene „Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“. Es ermöglicht, terroristische Gefährder einfacher in Haft zu nehmen. Personen also, denen die Polizei eine Straftat in näherer Zukunft zutraut, die aber noch keine begangen haben. Seitdem ist es laut Polizeiaufgabengesetz möglich, Menschen theoretisch unbegrenzt in Haft zu nehmen oder zum Tragen einer Fußfessel zu verpflichten. Die Polizei wird mit dem neuen Gesetz unter anderem ohne konkreten Verdacht Personen durchsuchen können, ihre Telefone abhören, Computer und online gespeicherte Daten auslesen oder verdeckte Ermittler gegen sie einsetzen – und die so gewonnenen Erkenntnisse auch an Nachrichtendienste weitergeben. Das alles ist durch die Kategorie der „drohenden Gefahr“ möglich. Nach den aktuellen Plänen soll sie nicht nur in der Terrorismusbekämpfung, polizeiliche Maßnahmen rechtfertigen. Bisher muss eine Gefahr konkret bevorstehen, wenn die Polizei präventiv eingreifen will. Wenn es jedoch künftig nur um eine „drohende Gefahr“ geht, darf die Polizei auch eingreifen, wenn noch keine Straftaten begangen wurden – und zumindest unsicher ist, ob sie jemals stattfinden.
Wir in Fürth mussten leider bereits Erfahrung mit dieser schikanösen und völlig willkürlichen Praxis machen. Beim Spiel der SpVgg Fürth gegen den Jahn aus Regensburg am 6.Oktober 2018 kam es vor dem Spiel zu vier Festnahmen von Kleeblattfans, denen seitens der Polizei angehängt wurde Jahnfans körperlich angreifen zu wollen. Es gab im Vorfeld als auch im Nachgang des Spiels keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass jene Angriffe seitens der Kleeblattfans geplant gewesen wären. Ein schlichter Wechsel des Bürgersteiges reichte scheinbar als Anhaltspunkt für die heraneilenden Polizisten aus. Die Kleeblattfans wurden anschließend präventiv in Gewahrsam genommen. Begründet wurde die Maßnahme mit Artikel 17 des bayrischen Polizeiaufgabengesetzes, der nichts anderes als eine sog. „Drohende Gefahr“ beinhaltet. Während des Gewahrsams als auch später wurde den Beschuldigten keinerlei Straftat angehängt, sodass diesbezüglich auch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Rein auf Verdacht wurden also vier Menschen 90 Minuten vor einem Fußballspiel ihrer Freiheit beraubt und während der gesamten 90 Minuten nach richterlichem Beschluss in Gewahrsam gehalten, um erst nach Abpfiff wieder frei gelassen zu werden. Nach den Kenntnissen des Weiß-Grünen Hilfefonds, die erste Maßnahme dieser Art bei einem Fußballspiel gemäß dem neuen bayrischen Polizeiaufgabengesetz. Im Kontext von politischen Veranstaltungen und Demonstrationen sind diese Vorgänge traurigerweise bereits Alltag. So wurde ein vermeintlicher Aktivist aus Augsburg, der laut Sicherheitsbehörden im Verdacht steht sich an Protesten gegen den kommenden AfD-Parteitag zu beteiligen, am Abend vorher in Präventivgewahrsam genommen. Auch hier liegt diesem Vorgehen die Änderungen im neuen bayrischen PAG zugrunde.
Doch dies beschreibt nur einen Teil des neuen PAG in Bayern. Ganz aktuell hat die bayrische Regierung die Einführung von so genannten Bodycams beschlossen und vollumfänglich umgesetzt. Das PAG erlaubt dabei das ununterbrochene Filmen. Speichern darf die Polizei diese Aufzeichnung nur, wenn zum Beispiel Leib und Leben eines Polizeibeamten oder einer dritten Person bedroht sind. Dass dieses ganze Prozedere datenschutzrechtlich höchst problematisch ist, kritisierte sogar der bayrische Landesbeauftragte für Datenschutz, Thomas Petri.
Ihr seht also wie versucht wird die Änderungen des bayr. PAG schrittweise umzusetzen bzw. wie dies auch bereits passiert ist. Wir als Fanhilfe sehen im Moment leider den Trend dahin einen bundesweiten Standard nach bayrischem Modell herzustellen.
In Bayern laufen seit dem Beschluss das neue PAG mehrere Klagen gegen dieses. Politische Parteien, Organisationen und Gruppen der Zivilgesellschaft klagen hiergegen und sehen das aktuelle PAG in dieser Form in Bayern als verfassungswidrig an. Während dessen liegt eine Normenkontrollklage noch beim Bundesverfassungsgericht sowie beim bayrischen Verfassungsgerichtshof. Das Gesetz beschränkt die neuen Eingriffsbefugnisse nicht auf die Abwehr terroristischer Bedrohungen, sondern erfasst mit großer Streubreite die gesamte Bevölkerung. Zusammenfassend werden mit diesem Gesetz vor allem drei gravierende Änderungen in die Bayerische Sicherheitsarchitektur eingeführt: die Schaffung des Gefahrenbegriffs „drohende Gefahr“, die Einführung der elektronischen Fußfessel im Bereich der präventiven Polizeiarbeit, sowie die Einführung einer „Unendlichkeitshaft“ bei der eine maximale Dauer von drei Monaten vorliegt, die wiederum um jeweils bis zu drei Monaten verlängert werden kann. Die Präventivhaft hat keine absolute zeitliche Obergrenze und kann somit unendlich verlängert werden.

Die Frage ist nun: Wie geht es weiter?
Nachdem es in Bayern in den letzten Monaten viele tausende Menschen immer wieder auf die Straßen gezogen hatte, um sich gegen das bayrische PAG aufzulehnen, zeigt dieser flächendeckende Protest nun langsam Wirkung. Direkt nach der Verabschiedung des neuen PAGs musste die bayrische Staatsregierung unter der Führung der CSU eine Prüfkommission einsetzen, die prüfen soll inwiefern das Gesetz überhaupt Anwendung finden kann. Im Detail empfiehlt das Gremium nun der Staatsregierung unter anderem eine Einschränkung des Be

griffs der „drohenden Gefahr“. Zudem muss in der Präventivhaft nun ebenfalls ein Anwalt zur Seite gestellt werden, was bisher nicht im neuen PAG verankert war. Die PAG-Kommission hat derweil viele weitere kritische Punkte am CSU-Überwachungsgesetz gefunden und dem CSU-Innenminister mehrere Nachbesserungen aufgebrummt.
All dies zeigt, dass es richtig und wichtig ist gegen schärfere Polizeigesetze den Mund aufzumachen, sich zu organisieren und immer wieder den Finger in die Wunde zu legen, um der Politik und insbesondere der Zivilbevölkerung deutlich zu machen, dass es hier nicht nur um Fußballfans geht, denen weiterhin Grund- und Freiheitsrechte beschnitten werden, sondern es betrifft uns alle. Wenn es nach bestimmten Politikern und Sicherheitsfanatikern geht, soll ein PAG bestenfalls flächendeckend in Deutschland eingesetzt werden. Dies dürfen wir uns nicht gefallen lassen! Vielmehr ist es wichtig sich auch über die Landesgrenzen hinaus zu vernetzten und sich solidarisch mit all jenen zu zeigen, die eben keinen Bock auf permanente Überwachung und einen Ausverkauf unserer Grundrechte haben. Wir als Fußballfans wollen nicht als Experimentierfeld für irgendwelche abstrusen und völlig unverhältnismäßigen Polizeigesetze dienen. Aufgrund dessen unterstützen wir als Fürther Fanhilfe eure Proteste gegen die Neuerungen des PAG in Baden-Württemberg.

  

Wir bedanken uns an dieser Stelle nochmals dafür unsere Beweggründe rund um das bayr. PAG hier darlegen zu können und wünschen euch allen viel Kraft für eure heutigen als auch zukünftigen Proteste!
In diesem Sinn:
Nein zum PAG in Bayern, in Baden-Württemberg und in allen anderen Bundesländern. Ja zur Stärkung der Freiheitsrechte!

 Weitere Links zum Thema:

https://www.cannstatter-kurve.de/demo-nopolgbw-12-10-2019

Ob auf der Straße, ob im Stadion

[Stuttgart] Über 1000 bei Demonstration gegen Gesetzesverschärfung